Grenzüberschreitender Datenfluss für die Flora des Böhmerwaldes

Ein deutsch-tschechisches Forscherteam stellt eine neue binationale Dateninfrastruktur vor. Das Projekt „Flora des Böhmerwaldes“ erschloss in den letzten vier Jahren wissenschaftliche Daten sowohl aus historischen Artenmonitoringprojekten beider Länder als auch neue Datenbestände zur aktuellen Pflanzenvielfalt des Böhmerwaldes. Die Daten sind öffentlich über ein Online-Portal in deutscher und tschechischer Sprache verfügbar. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler:innen unter Federführung der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB) kürzlich im Biodiversity Data Journal. Die etablierten Dienste werden in den nächsten Jahren im Rahmen des NFDI4Biodiversity Konsortiums und des SNSB Datenprojektes zur Flora von Bayern weiterentwickelt.

Der Böhmerwald ist ein biologisch einzigartiges Gebiet in Mitteleuropa, das besondere Aufmerksamkeit bei der Erforschung und Dokumentation seiner Biodiversität und deren Schutz verdient. Trotz langer Tradition der floristischen Erforschung dieser Region in beiden Ländern lag bisher keine grenzüberschreitende Gesamterfassung und -analyse vor. Unterschiedliche methodische Ansätze und Forschungsschwerpunkte sowie sprachliche und politische Barrieren begrenzten die Zusammenarbeit zwischen Experten in der Vergangenheit maßgeblich. Der Böhmerwald erstreckt sich über die beiden Nationalparke Bayerischer Wald und Šumava hinaus, vom Gebiet des Großen Arbers bis in das österreichische Mühlviertel.

Die große Herausforderung für die Biodiversitätsinformatiker:innen war die Entwicklung einer neuen und zugleich nachhaltigen technischen Infrastruktur, die mehrere Millionen Datensätze aus tschechischen und bayerischen Datenmanagementsystemen dynamisch und zugleich qualitätsgesteuert zusammenführt. „Notwendig ist dabei die technische und inhaltliche Übersetzung von Kategorien, Strukturen und Formaten bei der Zusammenführung der beiden Datenhaltungssysteme“, erklärt Dr. Stefan Seifert, Projektmitarbeiter und leitender Biodiversitätsinformatiker am SNSB IT-Zentrum. Es galt also, wissenschaftliche Bezeichnungen, Angaben zu Herkunft, geographische Lokalisierung und Gefährdungsstatus der Pflanzen in einer neuen gemeinsamen Dateninfrastruktur zu vereinen. Die Zusammenführung sämtlicher Informationen ist von großer Bedeutung, um gemeinsam passende Maßnahmen für den Arten- und Ökosystemschutz auf beiden Seiten der Grenze entwickeln zu können. Dazu gehört beispielsweise die Überwachung der Bestandsentwicklung von seltenen und bedrohten Arten.

2018 ging die grenzübergreifende Initiative „Flora des Böhmerwaldes – Květena Šumavy – Flora Silvae Gabretae“ an den Start – mit dem Ziel Daten unabhängig von Landesgrenzen verfügbar zu machen. Partner sind der Lehrstuhl für Botanik der Südböhmischen Universität České Budějovice (Budweis), der Nationalpark Bayerischer Wald, der tschechische Nationalpark Šumava, die Karls-Universität Prag sowie die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns mit ihrem SNSB IT-Zentrum.

Das neue Datenportal zur Flora des Böhmerwaldes präsentiert dabei in deutscher, tschechischer und englischer Sprache Informationen und Daten zur Verbreitung und Häufigkeit der Pflanzen unter anderem auch in Form von Verbreitungskarten, Artenlisten und Artensteckbriefen mit den ökologischen

Anforderungen der Gefäßpflanzen der Region. Die Webseite richtet sich an Pflanzen- und Naturliebhaber:innen, Bürgerwissenschaftler:innen gleichermaßen wie an professionelle Botaniker:innen, Förster:innen, Landwirt:innen, oder Ökolog:innen aus Tschechien sowie aus Deutschland.

Das SNSB IT Zentrum war im Projekt maßgeblich für Hintergrundprozesse des Datenmanagements im Diversity Workbench-Netzwerk sowie Prozesse der Datenintegration verantwortlich: Die Arbeitsgruppe um Leiterin Dr. Dagmar Triebel steuerte den Datenimport sowie die technische Bereitstellung von historischen und aktuellen Verbreitungsdaten der bayerischen Seite des Böhmerwaldes. Neben seiner Expertise im Bereich Data Science und Softwareentwicklung stellte das SNSB IT Zentrum als Teil der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) auch sein botanisches Expertenwissen zur Verfügung: BSM Botaniker:innen übernahmen die wissenschaftliche Betreuung der bayerischen Artenlisten, die Bestimmung schwieriger Arten, die Mitarbeit an Artensteck-briefen und der Einstufung des Rote-Liste-Status. Datenerhebungen im Gelände erfolgen mittels der vom SNSB IT Zentrum entwickelten Smartphone App DiversityMobile.

„Das Projekt hat den interkulturellen Austausch zwischen tschechischen und deutschen Wissenschaftler:innen nachhaltig befördert. Gleichzeitig professionalisieren die neuen technischen Dienste den digitalen Austausch von Biodiversitätsdaten mit Umweltindikatorfunktion zwischen beiden Ländern. In Zukunft wäre es sehr sinnvoll, das Netzwerk zu erweitern und auch die österreichischen Daten in das Netzwerk aufzunehmen und damit das Untersuchungsgebiet vollständig abzudecken“, erläutert Dr. Dagmar Triebel, Kuratorin an der Botanischen Staatssammlung München und Leiterin des SNSB IT Zentrum. Die einzelnen Dienste und Software-Komponenten werden im Rahmen des Citizen Science Projektes „Koordinationsstelle Bayernflora“ weiterentwickelt und in die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) integriert werden.

Gefördert wurde das „Flora des Böhmerwaldes“-Projekt durch die Europäische Union im Rahmen des Programms „Europäische Territoriale Zusammenarbeit“ (ETZ), zur grenzübergreifenden Kooperation zwischen dem Freistaat Bayern und der Tschechischen Republik.

Publikation:
Novotný, P., Seifert, S., Rohn, M., Diewald, W., Štech, M. & Triebel, D. 2022. Software infrastructure and data pipelines established for technical interoperability within a cross-border cooperation for the flora of the Bohemian Forest. Biodiversity Data Journal 10: e87254: 1-21, https://doi.org/10.3897/BDJ.10.e87254

Links
https://www.florasilvaegabretae.eu/de/
https://snsb.de/nfdi/
https://snsb.de/flora-von-bayern/

Kontakt:
Dr. Dagmar Triebel
Botanische Staatssammlung München / SNSB IT Zentrum
Menzinger Straße 67, 80638 München
Tel.: 089 17861 252
Email: triebel@snsb.de

Dr. Stefan Seifert
Botanische Staatssammlung München / SNSB IT Zentrum
Menzinger Straße 67, 80638 München
Tel.: 089 17861 245
Email: seifert@snsb.de