Flechten: Teamwork macht den Unterschied
Überall, doch scheinbar unscheinbar – Flechten besiedeln weltweit Bäume oder Felsen. Diese Lebewesen leisten im Verborgenen jedoch Erstaunliches: Sie produzieren unter anderem Stoffe, die für die Pharmazie von großem Interesse sind. Forscher der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) sowie der TU München konnten erstmalig einen Stoffwechselprozess in intakten, lebenden Bartflechten darstellen, der zur Produktion solcher sogenannten sekundären Flechtenstoffe führt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler vor Kurzem in der wissenschaftlichen Zeitschrift New Phytologist.
Flechten sind symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und Photosynthese betreibenden Grünalgen oder Cyanobakterien. Der Stoffwechsel dieser Symbiose-Einheiten unterscheidet sich deutlich vom Stoffwechsel einzeln lebender Symbiosepartner. So werden z.B. viele sekundäre Flechtenstoffe nur in der Symbiose gebildet. Ziel der aktuellen Studie war es, die Stoffwechselvorgänge innerhalb der Flechten zu analysieren – und zwar unter möglichst lebensnahen Bedingungen an intakten Organismen.
Wissenschaftlern der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM) und der Technischen Universität München (TUM) gelang nun erstmalig, den kompletten Stoffwechselprozess zur Produktion des Flechtenstoffes Usninsäure aufzudecken. Dies gelang durch die sogenannte 13C-Methode: Die Forscher sprühten dabei eine isotopisch markierte Zuckerlösung ([U-13C]Glukose) auf die intakte Flechte der Art Usnea dasopoga und analysierten anschließend Extrakte dieser Flechte mittels Kernresonanzspektroskopie (NMR). Diese Analysenmethode nutzt ein statisches, homogenes Magnetfeld, um die Wechselwirkung von Atomkernen zu bestimmen. Dieses Prinzip wird auch bei der Kernspintomographie in der Medizin genutzt. „Es hat sich gezeigt, dass die 13C-Methode hervorragend geeignet ist, um die Biosynthese von Usninsäure in dem komplexen biologischen System einer Flechte zu beleuchten“, freut sich Prof. Wolfgang Eisenreich von der TUM.
Die untersuchte Flechte Usnea dasopoga ist in den Alpen weit verbreitet und gehört zur Gruppe der Bartflechten, die meist von Bäumen herabhängend wachsen. Als eine Besonderheit von Flechten der Gattung Usnea wird Usninsäure gebildet, eine komplex aufgebaute Flechtensäure. Diese Verbindung ist sehr vielseitig einsetzbar: Sie wirkt sowohl antiviral als auch antibakteriell und wird bereits erfolgreich in Therapien gegen Influenza, Hepatitis C und diverse bakteriell-entzündliche Erkrankungen eingesetzt. Bemerkenswert ist auch die UV-Licht-absorbierende Wirkung der Usninsäure sowie ihr Einsatz im Lifestyle-Bereich als Nahrungsergänzungsmittel zur Gewichtsreduktion. Allerdings sollten mögliche Leberschädigende Effekte beachtet werden.
„Wenn man die Wege und Mechanismen ihrer Herstellung im Inneren der Flechte kennt, kann man die Flechtenstoffe und ihre potentiellepharmazeutische oder weitere biotechnologische Verwendung besser verstehen“, erläutert Dr. Andreas Beck, Flechten-Experte der Botanischen Staatssammlung München (SNSB-BSM). „In der Grundlagenforschung wollen wir die Methode nun nutzen, um den Stoffaustausch zwischen den Symbiosepartnern noch eingehender zu untersuchen.“
Publikation:
Kuhn, V. , Geisberger, T. , Huber, C. , Beck, A. and Eisenreich, W. (2019), A facile in vivo procedure to analyze metabolic pathways in intact lichens. New Phytol. doi:10.1111/nph.15968
Kontakt:
Dr. Andreas Beck
SNSB – Botanische Staatssammlung München
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Tel.: 089 17861 266
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